
Erntedank 2023: Die Ernte einfahren in unserem Alltag
Wenn ich auf etwas Appetit habe, ist der Weg meist nicht weit. Sollte ich es gerade nicht in meiner Küche haben, kann ich schnell zum Supermarkt gehen und es mir kaufen. Meist finde ich dort, was ich suche. Ist das einmal nicht der Fall, finde ich sicherlich eine gute Alternative. Dass ich Gefahr laufe, einmal gar nichts zu bekommen, ist für mich nahezu unvorstellbar. Wie sollte sich bei mir Dankbarkeit einstellen für so etwas Selbstverständliches?
In der jüdischen und der christlichen Tradition sind Feste zur Danksagung tief verankert, sei es zu besonderen Anlässen oder in einem regelmäßigen Rhythmus. Auch von Jesus lesen wir in den Evangelien immer wieder, dass er Gott vor einem Mahl zunächst dankt. Auch der Dank für die Ernte spielt im jüdisch-christlichen Glauben eine besondere Rolle. In früheren Zeiten hing auch bei uns die Existenz der meisten Menschen davon ab, dass die Ernte gut ausfällt. Bis heute ist das in vielen Regionen der Erde noch der Fall. Missernten, Überschwemmungen und Dürren bedrohen das Leben vieler Menschen unmittelbar. In letzter Zeit nehmen diese Katastrophen aufgrund des Klimawandels zu.
Auch wenn in Deutschland die meisten Menschen nicht mehr direkt von der Landwirtschaft leben, merken wir doch hier und da, wie sehr wir von Ernten und funktionierenden Lieferketten abhängen. Zuverlässig versorgen können wir uns nur, wenn das Zusammenspiel zwischen vielen Menschen gut gelingt. Wenn wir auf grundlegende Produkte nicht mehr zugreifen können, werden wir schnell unsicher. Steigende Preise sind ein Anzeichen dafür, dass etwas ins Ungleichgewicht gekommen ist. Auch der Mangel an Mehl und Toilettenpapier zu Beginn der Corona-Pandemie ist Vielen noch in Erinnerung.
Schon das macht deutlich, dass wir Vieles, was in unserem Alltag selbstverständlich scheint, nicht vollständig beeinflussen können. Vielmehr sind wir auf die Mitarbeit und Hilfe anderer Menschen angewiesen. Hier spüren wir dann vielleicht doch hin und wieder so etwas wie Dankbarkeit. Auch und gerade dann, wenn Menschen mit ihren Fähigkeiten dabei an Grenzen stoßen, weil äußere Umstände sie daran hindern, so zu handeln, wie sie es gerne möchten.
Als Christinnen und Christen glauben wir, dass Gott an dieser Stelle wirkt. Gott beschenkt uns mit allem, was wir benötigen. Gott wirkt aber nicht unabhängig von uns, sondern wir Menschen sind daran beteiligt, indem wir Gott wirken lassen. Spürbar werden die Geschenke Gottes deshalb meist indirekt: etwa durch die helfenden Hände eines Menschen oder die schönen Erlebnisse, die uns im Nachhinein noch glücklich machen. Wenn ich auf solche Momente schaue, empfinde ich Dankbarkeit.
Auch für Vieles, was wir selbst in den zurückliegenden Monaten geleistet und erreicht haben, können wir dankbar sein. Das Erntedankfest kann eine Gelegenheit sein, sich diese Ernte-Erzeugnisse einmal vor Augen zu führen: Was habe ich durch meinen Einsatz bewirkt? Womit habe ich anderen eine Freude gemacht? Was hat mich zufrieden und glücklich gemacht? Für alles, was ich in den vergangenen Monaten ausgesät habe, die Themen, die ich beackert habe, kann ich jetzt die Ernte einfahren und dankbar darauf zurückschauen, bevor es dann bald wieder mit dem Säen losgeht.
Andreas Hahne