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Das Fastentuch der Gemeinde St. Stephanus in Hamm-Heesen. Foto: Andreas Lechtape

Fastenzeit: Zeit der verhüllten Kreuze

Traditionell werden spätestens ab dem 5. Fastensonntag in den katholischen Kirchen die Kreuze verhüllt. Schon im Messbuch von 1570 wurde der Brauch offiziell festgelegt, auch der Zeitpunkt des Sonntags vor Palmsonntag. In der Regel geschieht das mit einem violettfarbenen Tuch. Man vermutet, dass der Brauch zu einer Zeit entstand, in der das Kreuz als ein Zeichen für den Sieg des Lebens über den Tod verstanden wurde. Ziel der Verhüllung mit den auch „Fastentüchern“ genannten Stoffen war es, sich in den Tagen vor Ostern allein auf das Leiden und Sterben Christi zu konzentrieren. „Fasten mit den Augen“ ist ein Begriff, der im Zusammenhang mit der Kreuzverhüllung genannt wird. Eine geistige Konzentration auf das Wesentliche.

Nach der Reformation verschwanden Fastentücher zunehmend aus dem Gebrauch, erlebten jedoch Ende des 16. und im 17. Jahrhundert eine Renaissance. Auch als die Kreuze mit einem Korpus in Gestalt des leidenden Christus üblich wurden, blieb die Tradition der Verhüllung mithilfe eines Fastentuches bestehen. Oft waren sie nun mit biblischen Geschichten von der Schöpfung bis zur Wiederkunft Christi geschmückt. „Armenbibeln“ wurden sie genannt. Das Fasten- oder Hungertuch bezieht sich inhaltlich auf den jüdischen Tempelvorhang, der der Überlieferung nach Karfreitag zerriss.

Es waren diese „Armenbibeln“, aus denen sich im Laufe der Zeit die von dem Aachener Hilfswerk Misereor herausgegebenen „Hungertücher“ entwickelten. Seit 1976 wird seitdem alle zwei Jahre ein neues Tuch entwickelt, von einem Künstler oder einer Künstlerin aus Afrika, Südamerika, Asien und Europa.

Eine besondere Kreuzverhüllung gestaltete der in Nettetal lebende Künstler Jürgen Drewer gemeinsam mit Lisa Reisinger im Auftrag von und für die Gemeinde St. Stephanus in Hamm-Heesen im Jahr 2019. Er entwickelte das Fastentuch mit dem Titel „OHNE“ auf der Basis der Gedanken von Mitgliedern der Gemeinde. Diese hatten zuvor eine Diskussion darüber geführt, was im Leben verhüllt und enthüllt wird, was sichtbar sein kann, was unsichtbar. Das in Großbuchstaben geschriebene Wort „OHNE“ auf dem grauen Filz (das Tuch hat eine Größe von 490 × 290 Zentimetern) lenkt die Gedanken der Betrachterinnen und Betrachter auch auf das, was verzichtbar ist – auf die Essenz der Fastenzeit, in der es nicht nur um den Verzicht auf Materielles geht, darum, sich ein Glas Wein oder um ein Stück Kuchen weniger, es geht um den Verzicht auf falschen Ehrgeiz, üble Nachrede, Geiz, Lügen – um immaterielle Dinge.

Sigrid Blomen-Radermacher